Warum verdienen Pflegekräfte so wenig, obwohl dort ein extremer Mangel an Arbeitskräften herrscht?

8 Antworten

So einfach ist das nicht.
50% der Pflegekosten zahlen die KV's, die fehlenden 50% zahlt jeder selbst, soweit er/sie das kann.

Der Leistungskatalog der Kassen ist gesetzlich geregelt.

In Pflegestufe 3 (mittlerweile gibt es 5), kostet ein Platz im Pflegeheim 3.200€/Monat.
50% zahlt die KV, wo der Rest herkommt kannst Dir vorstellen, falls man gerade 1600€ netto Rente denn hätte.
Falls man die nicht hat wären die eigenen Kinder unterhaltspflichtig, falls man eigene Kinder hat.
Hat man beides nicht, muss das Sozialamt einspringen (SGB III), im Rahmen des Leistungskataloges, nicht im Rahmen von wünsch-Dir-was.

Sei's drum, der Pott wird nicht ewig weit groß, was die Gehälter entsprechend deckelt.

Kommt noch hinzu, wer der Träger des Pflegeheimes ist, privat, gemeinnützig oder öffentliche Hand.
Die Beiträge lassen sich nicht beliebig erhöhen, da diese halbwegs paritätisch finanziert werden, von dem Bruttolohn.

Daran krankt es.
Der Staat (die Politik) setzt hierbei auf private Vorsorge, respektive den Einsatz eigenen Vermögens.
Was dummerweise bei Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhälnissen nunmal nicht möglich ist.
Auch diese Verhältnisse hat die Politik selbst eingerichtet, Stichwort die Agenda 2010 der SPD.

Der Fisch stinkt immer am Kopf zuerst.

Brieftasche1982 
Fragesteller
 01.06.2017, 00:40

Stichhaltig.

Was schlägst du vor?

soisses  01.06.2017, 01:15
@Brieftasche1982

Die Agenda 2010 zu beenden und als historischen Fehler erklären.
Dann wird es komplizierter, weil man an das SGB I - XII herangehen müsste.

- Erhöhung HartzIV, dadurch müsste der Mindestlohn angehoben
  werden, was die Tariflöhne ebeno steigen ließe, wie die Renten.
Im Ergebnis hätte es drastisch mehr Geld im Umlagesystem, für KV/PV und RV.

Empfiehlt auch der IWF, in seiner jüngsten Analyse vom 15.05.2017: "inclusiv Wachstum - eine breite Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen Erfolg".
Richtig erkannt, das genaue Gegenteil neoliberaler Politik.

Wenn man, wie gehabt, auf privater Vorsorge besteht, muss dafür die Kaufkraft erhöht werden, damit überhaupt Geld für private Vorsorge vorhanden ist.

Die Annahme, dass ein höherer Mindestlohn zu mehr Arbeitslosigkeit führen würde, ist ein Irrtum.
Der Zeitarbeitstarif ist heute bereits höher als der gesetzliche Mindestlohn.

Die verbreitete Ideologie, dass man die Arbeit nicht teurer machen dürfe verfängt nicht.
Dieser Ideoligie ließe ich begegnen, in dem man statt Arbeit Kapital belastet, mit einer Vermögenssteuer und einer Finanztransaktionssteuer.

Der entscheidende Aspekt jedoch ist, dass die Agenda 2010 für zunehmende Verarmung sorgt, was die soziale Sicherung entsprechend verteuert.
Sozial = die Allgemeinheit betreffend bedeutet mithin, dass das Problem nicht individueller Natur ist, sondern gesamtgesellschaftlich.
Der Ball liegt im Feld der Politik, den gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, Stichwort soziale Gerechtigkeit.

Nach der neoliberalen Ideologie bliebe sonstig nur ein sozialverträgliches Versterben als Lösung übrig, das mit Sicherheit keine politische Mehrheit schafft.

Lynx77  01.06.2017, 07:42
@soisses

Sehr fundiert. Ich sehe aber immer ein Problem bei der Erhöhung des Mindestlohns (der Grundidee der Fairness in allen Ehren). Das ist nicht die von dir erwähnte Arbeitslosigkeit, sondern eher, dass die Kluft zwischen Viel- und Geringverdienern dann nur temporär verkleinert wird. Meines Verständnisses müsste immer dann, wenn Mindestlöhne steigen, ja auch die Kosten des repräsentativen Warenkorbs steigen, wenn die Unternehmen, dessen Branche von der Mindestlohnerhöhung betroffen ist, ihre Gewinne nicht schmälern wollen. Immer dann, wenn das passiert, müssten eigentlich auch - wenn auch zeitversetzt - alle anderen Löhne steigen und das würde unter Anderem dann zur Inflation führen. Jedenfalls wäre relativ gesehen danach das Verhältnis zwischen Gering- und Vielverdienern etwa ähnlich.

Verstehe mich nicht falsch. Das soll keine Anzweiflung deines Beitrags sein. Du bist hier definitiv der Fachmann, ich der Laie, aber ich würde mich freuen, wenn du eine Meinung dazu hast.

Ansonsten sehe ich beispielsweise eine Erhöhung der Vermögensteuer hingegen als richtig ein, kann aber ebenso schlecht einschätzen welche Druckmittel die "Lobby der Vermögenen" so hat. Ist ja auch nicht unbekannt, dass Geldmittel steuerrechtlich gerne "weggeschafft" werden. Die Frage ist dann, ob solche Dinge zunehmen würden, wobei man das dann auf anderem Wege stoppen müsste - zumindest nicht durch Erlass.

soisses  01.06.2017, 08:28
@Lynx77

Ohne die Agenda 2010 gäbe es die Situation nicht.
Auch mit den Niedriglöhnen sind die Preise genau nicht gesunken.

Wenn man die Niedriglöhne im Bereich Pflege beklagt, Pflege betrifft SGB III, muss die Ursache beheben.
Daher sagte ich, die Agenda 2010 beenden und SGB I - XII übearbeiten.

Ausgerechnet der IWF warnt Deutschland vor sozialen Spannungen und empfiehlt höhere Lohnsteigerungen.
Gerade weil die Bürger an den Handelsbilanzüberschüssen Deutschlands nicht partizipieren.

Ein Sozialsystem erhält niemand zum Nulltarif und fällt nicht aus dem luftlleren Raum.
Sondern basiert in Deutschland auf dem Grundgesetz:
"Deutschland ist ein Sozialstaat" und "Eigentum verpflichtet, es soll zugleich dem Gemeinwohl dienen".

Es führt kein Weg daran vorbei, zuerst muss der Fehler behoben werden.
Denn es hat erhebliche Mängel im System, hier zu besprechenden Beispiel in der Pflege.
Ausser Pflege (SGB III)  hat ebenso zunehmende Rentnerarmut (SGB VI). Verarmte Rentner können sich die hohen Plegekosten nicht leisten, die Alimentation des Staates (SGB XII) wird dadurch noch teurer.
Und das alles um doe zartbesaitete Wirtschaft zu schonen?
Man kann diese Mimosen nicht zeitgleich "Eliten und Leistungträger" nennen, wenn sie nicht paritätisch an der Finanzierung beteiligt werden.

Wo würden denn bei Rekordüberschüssen im Export die Preise steigen?
Richtig, die in der Kritik stehenden Handelsbilanzüberschüsse würde reduziert.
Das Preisargument verfängt nicht, um zu begründen, dass man die Mängel im SGB I - XII nicht behebt.

Weil unsere Gesellschaft offensichtlich diese harte Arbeit entweder flkeißig ignoriert und verdrängt, und andere Tätigkeiten absurderweise eine wesentlich höhere "Wertigkeit" beimißt...Es ist so, dass die Politik sich auf diesem Gebiet weitgehend zurückgezogen hat und die Pflegekräfte sich selbst überläßt.

Ontario  14.11.2020, 08:42

In der Ära Merkel war das nie ein großes Thema, weil man damit politisch nicht groß punkten kann.

Bei uns gibt es Steuerverschwendung in Milliardenhöhe und das Jahr für Jahr. Die Verursacher haben keine Folgen zu erwarten.

Das Pflegepersonal spielt da eine untergeordnete Rolle.

Da wird jetzt in der Nähe des Bundeskanzleramtes ein Neubau geplant, damit die Kinder der Politbonzen einen Kindergarten haben. Kostenpunkt geschätzt, 650 Millionen Euro. Dafür ist Geld da.

Weil besonders Menschen mit einer sozialen Einstellung solche Berufe ergreifen, und weil sie es nicht übers Herz bringen würden, in einen Streik zu gehen (weil dann ihre Patienten leiden oder sterben würden).

Unsere Hilfsbereitschaft und soziale Einstellung wird ausgenutzt um Geld zu verdienen.  Privatisierung von Krankenhäuser treibt dies immer weiter voran.  Pflege streikt halt auch nicht. Es werden Hilfskräfte eingestellt und jeder Pflegekraft erklärt das sie ersetzbar ist. Der Pflegenotstand wird vom Personal so lange kompensiert wie es geht. Und solange deswegen nicht vermehrte Todesfälle nachgewiesen werden , obwohl Studien das belegen, reden Politiker nur darüber anstatt etwas zu ändern. Es gab schon sogenannte Reformen in der Pflege , aber man sieht ja was das gebracht hat. Es interessiert niemanden genug und es bleibt so wie es ist. 

Wo der Fehler wirklich liegt, weiß ich nicht. Allerdings wäre, meiner Ansicht nach, die Politik in der Pflicht, genau so wie die Gesellschaft an sich.

Der Stellenwert einer Pflegekraft ist sehr weit unten angesiedelt, obwohl sie eine riesige Verantwortung für Menschen(leben) tragen. Ich empfinde es als Armutszeugenis für unser so reiches Land, dass genau diejenigen mißachtet werden, die einen so wichtigen Dienst leisten.

Für die unglaublichsten Dinge ist Geld da, aber für Pflegekräfte offensichtlich nicht. Das ist allerdings kein Einzelfall.