Mein Vater liegt im Sterben. Wie soll ich damit umgehen?

7 Antworten

Ergänzend zu dem, was @youarewellcome geschrieben hat:

Als Seelsorger habe ich schon viele schwer kranke, sterbende und verstorbene Menschen sehen müssen.
Manchmal war es sehr schwer auszuhalten, was diese Menschen leiden mussten oder wie sie sich verändert haben: Weil ich glaube, dass niemand so ein Leid verdient hat. Und er oder sie leidet gerade trotzdem. Das tut weh.
Aber ich habe noch nie einen Menschen gesehen, dessen Aussehen mich entsetzt hätte. Wobei ich in Seelsorgesituationen etwa an einem Unfallort bewusst nicht zu allen Verunfallten gehe. Da kann es m.E. Situationen geben, die man nicht unbedingt gesehen haben muss.

Ich schreibe das, um Dir Mut zu machen, Deinen Vater zu besuchen.

Und ich bin der festen Überzeugung, dass Du es gut aushalten kannst und dass es icht nur Deinem Vater, sondern auch Dir gut tun wird, dass Du ihn in dieser Situation nicht im Stich lässt.

Vielleicht kann es Dir sogar bei Deinen Bewerbungen helfen.

Denn Hilflosigkeit blockiert Dich und Dein Denken. Wenn Du diese Sache anpackst, erlebst Du Deine Handlungsfähigkeit. Du kannst aktiv sein, und das hilft Dir auch an anderer Stelle.

Wobei diese "Aktivität" ziemlich schwer ist: "Nur" am Bett des Vaters sitzen, "nur" zu ihm sprechen können, aber er kann vielleicht nicht antworten. Aushalten müssen. Aber auch zusagen können: Dass Du Dein Leben meistern wirst. Dass er in Ruhe gehen kann.

Wahrscheinlich bist Du wie ich ein Kopfmensch, der in solchen Situationen am liebsten sprechen möchte.
Aber manchmal ist Sprache nicht die einzige Möglichkeit zu kommunizieren. In solchen Situationen sind Emotionen ganz wichtig. Nähe zeigen, die Hand halten, streicheln: Es gibt viel mehr Möglichkeiten zu kommunizieren als unsere Sprache. Wir müssen es nur lernen. Was aber nicht bedeutet, dass Du nicht zu ihm sprechen kannst. Er wird Dich hören, wenn Du von Dir erzählst. Es wird ihm gut tun, auch Deine Stimme zu hören.

Alles Gute!

ginger2001 
Fragesteller
 26.02.2017, 19:53

Mein Vater ist leider schon am 05.10 von uns gegangen ohne das ich vorher bei ihm war. Ich war wirklich kurz davor hinzufahren genau an dem Tag, aber ich hab mich dann doch nicht überwunden und wollte es am nächsten Tag nochmal versuchen.... Mittlerweile bereue ich es, dass ich so dumm und kindisch war und nicht zu ihm gefahren bin. Ich habe deswegen echt ein schlechtes Gewissen und denke das mein Vater ziemlich traurig darüber war das ich mich nicht verabschiedet habe das lässt mich oft nicht schlafen... :( 

Aber auf seiner Beerdigung war ich zumindest, auch wenn es mit mehr als schwer gefallen ist... 

nachdenklich30  27.02.2017, 21:22
@ginger2001

Ich denke, dass jeder Mensch seine Grenzen hat - und Du bist hier an Deine Grenzen gestoßen.
Jetzt im Nachhinein würde ich Dich bitten, dass Du Deine eigenen Grenzen respektierst.

Es wäre sicher schön gewesen, wenn Du Deinen Vater hättest besuchen können. Aber Du konntest es nicht.

Vielleicht schreibst Du ihm einmal einen Brief. Du wirst ihn nicht abschicken. Manche verbrennen einen solchen Brief symbolisch. Das kann man machen, aber man muss es nicht machen.

Du kannst ihn darin um Entschuldigung bitten. Du kannst beschreiben, was in Dir vor ging.

Ich könnte mir vorstellen, dass es Dir gut tut.

Ich hätte als junger Mensch meine alte Klassenlehrerin besuchen können. Ich hatte gehört, dass sie Krebs hatte, und sie hätte sich sicher sehr gefreut. Ich konnte es damals nicht.

Jeder Mensch hat Grenzen. Niemand von uns ist grenzenlos. Niemand kann alles. Niemand kann alles richtig machen. Wenn wir das versuchen, werden wir uns heillos überfordern.
Darum ist es wichtig, das wir neben vielem anderen auch lernen, unsere Grenzen zu akzeptieren. Manche Grenzen können wir nach hinten hinaus schieben. Manche sogar sehr weit. Und es ist gut, wenn wir das versuchen. Dafür werden wir andere Grenzen akzeptieren müssen.

Die Kunst besteht darin, zu unterscheiden, welche Grenzen wir verschieben können und welche wir akzeptieren müssen.

Mit dem Tod Deines Vaters bist Du an eine Grenze gekommen, die Du so einfach nicht verschieben kannst. Wobei: Der Brief könnte so ein Versuch sein, zumindest ein klein wenig.

Aber vielleicht kannst Du Dich mit dem Thema "Älter werden" befassen. Könnte Dir vielleicht ein soziales Jahr (Bundesfreiwilligendienst) in einem Altenheim helfen, die Sache aufzuarbeiten?

Vielleicht ist aber auch eine Trauergruppe für Jugendliche das Richtige. So etwas wie http://www.traudichtrauern.de/

Schau mal, was es so vor Ort für Dich gibt. Ruf dort ruhig einmal bei einer der Trauergruppen an. Die sind meist gut vernetzt und wissen von Angeboten auch für Jugendliche in der Nähe.

Hallo

da gibt es keine Antwort die richtig oder falsch ist. Entscheiden musst du das für dich selber, ohne Beeinflussung durch irgendwelche Personen.

Es ist eine sehr schwierige Lage, in der du dich befindest. Ich habe mir nahestehende Menschen sterben sehen und war ganz nahe dabei. Ich habe aber auch wissentlich meine Schwester nicht mehr besucht.

Ich wünsche dir die Kraft und Stärke, die dir eine gute Entscheidung möglich machen. Lasse dich von niemanden unter Druck setzen. Das Grab kannst du immer besuchen, auch nach der Beerdigung.

Alles Gute

LG

Ganz ehrlich, mit 17 Jahren musst du noch nicht emotional so weit sein und die / den starken spielen, obwohl du seelisch dazu nicht bereit bist. Es ist auch ok, wenn du deinen Vater so in Erinnerung behalten möchtest, wie er war. Wenn es dir hilft, erzähle ich dir gerne wie es damals bei mir war, als mein Vater im sterben lag. Ich war 23 Jahre alt, er hatte Krebs. Das Verhältnis war immer angespannt, teilweise hatte ich keinen Kontakt. Als es hiess, er wird die nächsten Tage sterben, wollten mich einige unter Druck setzen, ihn zu besuchen, es wäre schliesslich mein Vater. Aber ich konnte nicht. Das muss alles sehr schlimm gewesen sein, meine Schwester war bis zum Schluss dort.Sie ist heute noch traumatisiert von den Bildern. Ich bin froh, meine eigene Entscheidung getroffen zu haben und dass mir Nachts keine Bilder durch den Kopf gehen, wie bei meiner Schwester. Auch war ich nicht bei der Beerdigung. Ich brauchte kein Grab um mich zu verabschieden. Du solltest ganz alleine auf dein Herz hören. Und niemand weiss besser als du, was du möchtest oder brauchst! Du lebst mit deinen Entscheidungen, sonst niemand! 

Hallo. Tut mir leidt. Du solltest hingehen. Es ist erwiesen, dass selbst Patienten im Koma ihr Umfeld leicht wahrnehmen können. Tu es für deinen Vater. Tu es für dich. Mag sein, dass er schlimm aussieht, aber er ist dein Vater, und ich denke, es ist besser für dich und deinen Vater. Ach, hier noch eine kostenlose und anonyme Beratungsnummer. Die Leute dort können dich in solchen Fällen beraten, und dir Hilfe zukommen lassen. 116111

sternenmeer57  01.10.2015, 18:48

Ich schliesse mich dieser Antwort an, super geschrieben.

Also ich war privat schon öfter in einer solchen Situation und habe damit beruflich andauernd zu tun.

Folgendes möchte ich Dir raten....gleich welches Verhältnis Du mal zu Deinem Vater hattest, er ist Dein Vater und bleibt dies auch. Auch ich sehe das so, dass die Vorwürfe die Du Dir machen würdest, ihn nicht zu besuchen, bzw. wenn er verstorben ist, nicht an seiner Beerdigung teilnehmen würdest, wären noch viel unerträglicher als wenn Du Dich zusammenreißt und das Möglichste tust um bei Deinem Vater zu sein.

Ebenso möchte ich Dir mitteilen, dass es tausende von Studien gibt, die deutlich belegen, dass komatöse Patienten, wie auch sterbende Patienten sehr wohl wahrnehmen wer an ihrem Bett steht, wer bei ihnen ist.

Vielleicht hast Du die Möglichkeit bei Deiner Mutter, Verwandten, Bekannten oder Freunden unterzukommen und so oft wie möglich Zeit am Bett Deines Vaters verbringst. Setze Dich neben ihn, sprich mit ihm gerne auch über die Zeiten wo Dein Verhältnis zu ihm distanzierter war. Erkläre Dich, z.B. dass es Dir leid tut, erzähle ihm vielleicht auch Dinge aus Deiner Jugend oder den letzten Jahren, an die Du dich gerne erinnerst speziell im Zusammenhang mit ihm.

Gib ihm das Gefühl, ergo erzähle ihm auch ruhig, dass es o.k. ist loszulassen, dass alles in Ordnung ist, er sich keine Sorgen machen solle. Im Falle meiner Mutter hat ihr dies sehr geholfen, letztlich so zu entspannen, dass die Schmerzmittel wirkten und Sie sterben konnte.

Falls Dir/Euch (ergo Deiner Mutter/Geschwistern/Familie) das Krankenhaus zu unpersönlich erscheint, könnt ihr Euren Vater auch in ein Hospiz verlegen lassen wo es angenehmer und weniger hektisch als in einer Klinik zugeht.

Auch könntet ihr durchaus insofern die Versorgung geregelt wäre, den Vater nach Hause holen. Ein Pflegedienst, eine Hospizschwester würde sich dann darum kümmern, dass Schmerzmittelgaben, etc. vielleicht auch Sauerstoff und Flüssigkeit weiter gegeben werden. Dein Vater wäre zu Hause oder im Hospiz mit Sicherheit vielleicht auch entspannter als in der Klinik. Geht das alles nicht, dann könnt ihr auch in der Klinik darauf drängen, dass er in ein Einzelzimmer verlegt wird, wo die Möglichkeit besteht ein Zustellbett für Familienangehörige einzustellen, so könnt ihr Euch an seiner Seite abwechseln was ich für immens wichtig halte.

Mit dem Sterben umzugehen ist nicht einfach obwohl es genauso zum Leben gehört wie die Geburt.

Im Moment sollte der Vater Mittelpunkt alles Handelns sein. Nicht nur traurig dasitzen, erzähle mit ihm, lies ihm vor, ob die Tageszeitung die er vielleicht gerne las oder ein Buch, auch leise Musik die er gerne hörte, völlig egal...er wird es Dir und Deinen Angehörigen danken...glaube mir es ist soviel leichter für Menschen "loszulassen" und erlöst zu werden, wenn sie entspannt sind und wissen, dass geliebte Menschen, nicht überlastetes Pflegepersonal ums sie herum sind.

Um letztlich mit Deinen Emotionen klarzukommen, kannst Du Dich vertrauensvoll an Deinen Hausarzt wenden, es gibt sehr viele Selbsthilfegruppen zum Thema "Sterben/Sterbebegleitung/Verlust naher Angehöriger/Freunde, oder eine Psychotherapie.

Aber am allerwichtigsten ist, dass Du soviel Zeit wei Möglich bei Deinem Vater verbringst! Im Krankenhaus kannst auch Du Dich an die Schwestern und Ärzte wenden, sollte Dein Kreislauf mal Probleme machen.

Ich wünsche Dir viel Glück und die richtigen Entscheidungen...Deinem Vater wünsche ich, dass er nicht mehr so lange leiden muss, dass er keine Schmerzen hat und von seinen Lieben begleitet wird.

Alles Liebe

PS: wenn mein Beitrag etwas helfen konnte, wäre ich sehr dankbar über ein HIlfreich/-andere Bewertung über das GF System...Danke

voruebergehend  18.10.2015, 19:42

Wow, sehr professionelle Antwort.