Warum ist mein Speichel so wässrig?

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Ein vermehrter Speichelfluss kann viele Ursachen haben; er tritt beispielsweise als Nebenwirkung mancher Medikamente auf. Was eine Sialorrhö auslösen kann und wie sie behandelt wird, lesen Sie im folgenden Artikel. Auch wenn es sich zunächst harmlos anhört: Ein übermäßig gesteigerter Speichelfluss (Sialorrhö, Hypersalivation oder Ptyalismus) ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, da er für die Betroffenen sehr belastend ist. Denn von der Umwelt wird eine Sialorrhö oft als »feuchte Aussprache« oder »Sabbern« negativ wahrgenommen. Neben sozialer Ausgrenzung kann sie zu medizinischen Problemen führen. Hautinfektionen, Husten, Würgen und Erbrechen sind möglich. Gelangt Speichel in den Respirationstrakt, steigt zudem das Risiko für Atemwegsinfektionen und Lungenentzündungen. 0,7 bis 1,5 Liter Speichel produziert ein gesunder Erwachsener täglich. Dieser besteht zu 99,5 Prozent aus Wasser. Der Großteil, etwa 90 Prozent, kommt aus den drei großen paarig angelegten Kopfspeicheldrüsen: Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis), Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandibularis) und Unterzungenspeicheldrüse (Glandula sublingualis). Je nachdem ob Parasympathikus oder Sympathikus die Speichelproduktion stärker modulieren, ist das Sekret wässriger oder visköser.

 

Speichel enthält Proteine wie α-Amylase, Polysaccharidgemische wie Mucin, Elektrolyte, Bakterizide und Antikörper, vor allem Immunglobulin A. Aus seiner Zusammensetzung erklärt sich die Funktion des Speichels: Er befeuchtet die Schleimhäute, trägt zur Immunabwehr bei, nimmt lösliche Substanzen der Nahrung auf und mischt sich mit trockenen Bestandteilen, sodass der Nahrungsbrei besser geschluckt werden kann. Die Aufspaltung von Kohlenhydraten beginnt bereits im Mund durch α-Amylasen. Die Elektrolyte sind für die Remineralisation der Zähne wichtig. Zu wenig Speichel begünstigt die Kariesentstehung.

Ein Symptom, viele Ursachen

 

Eine Sialorrhö kommt zustande, wenn die Produktion vermehrt ist und der Speichel nur ungenügend abfließen kann. Bis zum vierten Lebensjahr ist ein vermehrter Speichelfluss normal. In der Schwangerschaft kann aufgrund einer verstärkten Parasympathikuswirkung vor allem im zweiten bis vierten Monat der sogenannte Ptyalismus gravidarum auftreten. Auch saure Speisen, appetitanregende Reize, Erregung, Übelkeit und Fremdkörper im Rachen lassen physiologisch kurzfristig die Sekretmenge ansteigen.

 

Die Ursachen eines pathologisch erhöhten Speichelflusses sind vielfältig und werden eingeteilt in lokale Faktoren, Allgemeinerkrankungen, neurologische Störungen und medikamentöse Faktoren. Ein vermehrter Speichelfluss gehört zum Krankheitsbild des Diabetes insipidus, bei dem große Flüssigkeitsmengen ausgeschieden werden, der Myasthenia gravis, einer Autoimmunerkrankung mit Störung der neuromuskulären Reizübertragung, oder der Vitaminmangelerkrankung Pellagra. Eine lokal bedingte Sialorrhö tritt beispielsweise bei Karies, Entzündungen der Mundschleimhaut und der Mandeln oder einer fehlerhaften Zahnstellung auf.

 

Oftmals hängt eine Sialorrhö mit neurologischen Erkrankungen zusammen. Zentralnervöse Beispiele sind Morbus Parkinson und die amyotrophe Lateralsklerose. In der Peripherie können Störungen des Nervus facialis und Nervus trigeminus den Speichelfluss stören. Meist ist bei neurologischen Krankheitsbildern nicht die Produktion erhöht, sondern der Abfluss behindert durch Schluckstörungen oder erniedrigte Schluckfrequenzen. Auch bei psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie und manischen Depressionen tritt eine Hypersalivation auf.

Typisches Vergiftungssymptom

 

Ein vermehrter Speichelfluss kann als Nebenwirkung einiger Medikamente und als Vergiftungserscheinung auftreten. So regen Parasympathomimetika wie Carbachol und Pilocarpin die Speichelproduktion über Muscarinrezeptoren an. Pilocarpin wird sogar für diesen Zweck medizinisch eingesetzt. Für die Speicheldrüsen ist besonders der Subtyp M3 von Bedeutung. Auch Cholinesterase-Blocker wie Physostigmin, Neostigmin und Organophosphate wirken indirekt parasympathomimetisch, indem sie den Abbau vom Neurotransmitter Acetylcholin an den muscarinergen Synapsen verhindern. Im Umkehrschluss ist es nachvollziehbar, dass Sympatholytika eine ähnliche Wirkung erzielen.

 

Eine wichtige Rolle spielen auch die Neuroleptika. So leidet ein Drittel bis zur Hälfte der mit Clozapin behandelten Patienten unter Sialorrhö. Vermutlich wirkt das atypische Neuroleptikum als Agonist an M4-Rezeptoren, die ebenfalls in exokrinen Drüsen gefunden wurden. Weiterhin stimuliert es als Antagonist adrenerge α1- und α2-Rezeptoren. In der Folge steigt die Durchblutung und damit auch die Speichelproduktion.

 

Für zahlreiche weitere pharmakologische Substanzen ist eine Sialorrhö als Nebenwirkung beschrieben. Beispiele sind Mucosa-irritierende Antibiotika, herzwirksame Glykoside, Coffein und Nicotin, Chinin, Theophyllin, Reserpin, Clonazepam, Morphin und Apomorphin, Quecksilber und Thallium.

 

Angriff am Parasympathikus

 

Bei der Behandlung sollte versucht werden, zuerst die Ursache oder Grunderkrankung zu beseitigen. Beispielsweise können Zahnfehlstellungen korrigiert oder die Mandeln entfernt werden. Falls das nicht gelingt, können Arzneistoffe zur Reduktion der Speichelproduktion beitragen. Zur Behandlung der Sialorrhö ist derzeit kein Medikament explizit zugelassen. Den Benefit einiger Arzneistoffe belegen jedoch klinische Studien mit meist kleineren Patientenkollektiven. Genutzt wird vor allem die anticholinerge Wirkung von Parasympatholytika. Muscarinrezeptor-Antagonisten wie Scopolamin oder Atropin reduzieren deutlich die Speichelproduktion. Zu den wichtigsten Kontraindikationen zählen Glaukom und benigne Prostatahyperplasie. Typische Nebenwirkungen sind Verstopfung, Hautrötung, Pupillenerweiterung, Urinretention und Verwirrtheitszustände.

 

Scopolamin wird als Pflaster direkt hinter dem Ohr aufgeklebt, da hier die Durchlässigkeit für den Arzneistoff am besten ist. Ein Pflaster kann bis zu vier Tage getragen werden. Der Speichelfluss wird effektiv gehemmt. Bisher liegen noch keine Daten für eine Langzeittherapie vor.

 

Atropin wurde in Studien erfolgreich sublingual in Tropfen- oder Tablettenform angewendet. Auch quartäre Atropin- und Scopolamin-Derivate kommen zum Einsatz. Zum Beispiel ist Glycopyrroniumbromid in den USA auch als Tablette erhältlich. In einer kürzlich veröffentlichten Studie konnte die Anwendung eines sublingualen Ipratropiumbromid-Sprays die Speichelmenge bei 17 Parkinsonpatienten zwar nicht signifikant reduzieren, brachte aber eine subjektive Linderung. Tertiäre Anticholinergika wie Trihexyphenidyl und Biperiden werden bei Parkinson eingesetzt und verbessern neben Muskelsteife und Dystonie auch eine Sialorrhö.

 

Auch die Anwendung von Botulinumtoxin rückt immer mehr in den Fokus. Das Nervengift hemmt die Freisetzung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt. Dazu wird es direkt in die Ohr- und Unterkieferspeicheldrüsen injiziert. Die Anwendung wird in den Studien als sicher und gut verträglich beschrieben. Weitere Daten, zum Beispiel zur optimalen Injektionsstelle und Wirkdauer, fehlen zurzeit jedoch noch. Bei Clozapin-induzierter Hypersalivation kann die Kombination mit Antidepressiva wie Amisulprid oder Sulpirid Linderung bringen, wie mehrere doppelblinde, placebokontrollierte Studien zeigten. Einen anderen Ansatz verfolgt die Gabe von Clonidin, bei der als Nebenwirkung Mundtrockenheit beobachtet wurde. Als zentralwirksamer α2-Agonist soll es den Sympathikotonus und damit die Durchblutung senken.

 

Neben der medikamentösen Therapie stehen Bestrahlung, Akupunktur, Verhaltensmodifikation, Logopädie, Physiotherapie und letztlich chirurgische Maßnahmen zur Verfügung.