Rechtsmedizin/Pathologie/Schulpraktikum/Realität

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Hey,

zunächst mal ist es ein weitverbreiter Fehler, Rechtsmedizin und Pathologie in einen Topf zu werfen. Kommt vermutlich aus dem amerikanischen Raum, wo einfach alles Pathology ist. In der Pathologie wird zwar auch obduziert, hier aber mit dem Ziel, die Krankheit, die dem Tod zur Ursache liegt, genauer festzustellen. Viel häufiger werden hier jedoch Lediglich Präperate und Biopsien untersucht, mikroskopisch, mit und ohne Färbung usw, um zum Beispiel die Dignitität eines Tumors feststellen zu können, also ob gut- oder bösartig. Der Pathologie beschäftigt sich also mit den Erkrankungen des Menschen und mit den Leichen der eines natürlichen Todes Verstorbener. In der Rechtsmedizin hat man es mit nichtnatürlichen Todesursachen zu tun. Wenn jemand tot aufgefunden wird, und der Verdacht naheliegt, dass eine nichtnatürliche Todesursache vorliegt, wie Mord, Selbstmord, Unfall oder ähnliches, kann von der Staatsanwaltschaft die Obduktion angeordnet werden. Tatsächlich sind in Deutschland kaum Mordfälle auf den Tischen, also verhältnismäßig. Ich hab in meinem Praktikum keinen einzigen gesehen. Häufiger sind Selbstmorde, Unfallopfer, oder Menschen die, wie im Nachhinein festgestellt wurden, eben doch an einer Krankheit gestorben sind, man sich dessen aber vorher nicht sicher sein konnte.

Zu deinen anderen Fragen. Ich denke nicht, dass ein solches Praktikum in deinem Alter möglich ist. Bei uns ist es im Rahmen des Studiums eine Möglichkeit, mal ein paar Wochen Praktikum in der Rechtsmedizin zu machen, allerdings muss das auch niemand, wäre finde ich auch nicht gut. Nachfragen kannst du denke ich mal, aber nachdem du sowohl fachfremd als auch minderjährig bist bezweifle ich das.

In der Rechtsmedizin in der ich tätig werden durfte, hat man keinen Geruchsschutz verwendet. Die Begründung der Rechtsmediziner war, dass sie die Kombination aus dieser Salbe und dem Verwesungsgeruch einfach noch viel ekliger finden würden. Ganz lässt sich letzterer nämlich eh nicht überdecken. Das kann man auch nicht schön reden. Grade im Sommer sind so einige Fälle dabei, wo man nicht scharf darauf ist, in der ersten Reihe zu stehen, geschweigedem tätig zu werden.

Grundsätzlich ist vielleicht noch erwähnenswert, dass bei uns in D im Vergleich zu anderen Ländern sehr wenig obduziert wird. Bei uns haben die Menschen irgendwie mehr ein Problem damit, und nehmen scheinbar auch in Kauf, dass eine Todesursache nie richtig aufgeklärt wird. Der Gedanke, dass ein Angehöriger aufgeschnitten wird, scheint einfach zu erschreckend. Letztendlich kostet es aber natürlich den Anordnenden, also oft dem Staat, auch einfach Geld...

Falls du weitere Fragen haben solltest, nur zu.

Dankeschön, das war sehr sehr hilfreich. Ansonsten würde mich noch interessieren: 1. Nimmt man dort durchs Zuhören auch etwas Theoretisches mit oder kann man einfach nur bei der praktischen Arbeit zugucken? 2. Nach der Obduktion potenzieller Mordopfer, stellen Rechtsmediziner auch Theorien zum Tathergang etc. auf oder gehört das zur Kriminalistik? 3. Wohnt dem Beruf d. Rechtsmediziners eine Spannung inne oder sind das alles einfach nur "langweilige" Abläufe und Routine?

Freue mich über eine weitere Antwort und tut mir leid, wenn die Fragen etwas dumm sind.

@riverbelow

Deine Fragen sind nicht dumm.

Wenn die tätigen Rechtsmediziner denn bereit sind, ein bisschen was zu erzählen und erklären, kann auch das alleinige zusehen und zuhören sehr lehrreich sein. Die praktische Arbeit, so muss man zugeben, ist an sich nicht sonderlich komplex und folgt einem recht striktem Schema. Da darf man als Student auch recht schnell mal mit machen. Das komplexe ist eher, auf die Kleinigkeiten zu achten und eben nichts zu übersehen.

Bei der Obduktion von Mordopfern, aber auch bei Suizidanten und Unfallopfern werden natürlich Theorien zur exakten Todesursache aufgestellt und nach Möglichkeit auch bestätigt. Meist besteht ja vorab schon ein Verdacht, also ein Hypothese, die es dann zu bestätigen oder zu widerlegen gilt. Bei den von der Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktionen ist auch fast immer ein Kriminalpolizist zugegen, der oftmals noch genauere Informationen zu den Rahmenbedingungen geben kann (Auffinden der Leiche etc). Es ist das eigentich Ziel, bei der Obduktion die genaue Todesursache festzustellen.

Zur Spannung, ja nicht so leicht zu beantworten. Also man muss mal ganz klar sagen, dass der Beruf des Rechtsmediziners durch Film und TV sehr falsch dargestellt wird. Derart spannend und abgefahren läuft das ganze natürlich nicht, aber das ist ja in vielen Berufsgruppen so. Wie in jedem Job tritt irgendwann eine gewisse Routine ein. Dazu kommt, dass die Obduktionen ja nur ein Teil der Arbeit des Rechtsmediziners sind. Hinzu kommen die Untersuchungen und Begutachtung von (vermeintlichen) Opfern von Gewalt und Vergewaltigungen, das Erstellen von Gutachten und das Auftreten als Gutachter vor Gericht. Außerdem sind Vaterschaftstests und einige andere weniger spannende Bereiche Teil der Rechtsmedizin. Wenn es dann um die eigentlichen Obduktionen geht, ist natürlich kein Fall wie der andere. Und nicht selten gibt es auch Fälle, die natürlich auch einem erfahrenen Rechtsmediziner nahegehen, grade bei sehr jungen Menschen. Aber das muss man natürlich in einem gesunden Rahmen handlen lernen. Ich hab mal einen dort tätigen Mediziner gefragt, wie er damit so klar kommt, ständig mit den Abgründen der Menschlichkeit konfrontiert zu sein, und ich fand seine Antwort eigentlich ganz einleuchtend. Er meinte, dass er viel weniger damit klar kommen würde, Kindern oder auch Erwachsenen beim Sterben zusehen zu müssen, wie zum Beispiel in der Onkologie. Sie zu begleiten und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, wäre schlimmer für ihn. Die Menschen, die bei ihm auf dem Tisch liegen, kannte er im Leben nicht. Er kann auch nicht mehr für sie tun, als mit seiner Arbeit die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Alles in allem ist das aber wahrscheinlich auch ne Typfrage, jeder geht damit anders um.

@LilApple88

Nochmals danke für die tolle Antwort! Ich schätze ich habe jetzt eine etwas genauere Vorstellung des Berufs. Und ja, dass alle Berufe in TV Serien immer spannender sind, ist leider Realität. Aber ich stelle mir Rechtsmedizin schon sehr spannend vor, da Tsokos auch mehrere Bücher über seine interessantesten Fälle schreibt. Leider habe ich von den Büchern noch keines gelesen, weshalb ich mir nicht so sicher war, inwiefern das der Realität entspricht.

Noch eine Frage: Warum werden Selbstmörder und Unfallopfer untersucht?

@riverbelow

Weil es auch dabei darum geht festzustellen, ob überhaupt ein Suizid / Unfall vorgelegen hat oder nicht doch eine Tötung durch einen anderen. Außerdem gehts da auch häufig um versicherungsrechtliche Dinge.

Ja es ist ein sehr interessanter Beruf und ich würde zu gerne mal wieder ein paar Wochen damit zu tun haben.

Ich für mich muss aber sagen, dass es mir auf Dauer doch zu zermürbend wäre und hinzukommend zu stark von der ärztlichen Tätigkeit als solche Weg. Man studiert ja Medizin mit dem Drang Menschen zu helfen gesund zu werden oder Symptome zu lindern. Da ist die Rechtsmedizin halt eben doch "immer etwas zu spät", man stellt seinen Dienst natürlich in eine wichtige Sache, nämlich die Aufklärung der Todesursache, aber auf Dauer würde mir da glaube ich einfach das Erfolgserlebnis fehlen. Sprich Patienten krank aufzunehmen und gesund wieder zu entlassen.

Solltest du mit diesem Beruf weiter liebäugeln und das Medizinstudium aufnehmen, kannst du dir ja spätestens dann mal ein genaueres Bild davon machen.

@LilApple88

Danke, stimmt, einleuchtend :)

Ja, vordergründig interessiere ich mich für Psychologie oder Psychiatrie, und falls ich mich für Letzteres entscheide, müsste/dürfte (wie man's sieht) ich soweit ich weiß auch Medizin studieren, wo ich hoffentlich die Gelegenheit bekomme, ein Praktikum in der Rechtsmedizin zu machen.

Pathologen untersuchen alles, was aus Menschen herausgeschnitten oder anderweitig entnommen wurde. Zell- und Gewebeproben z. B. Ganze Leichen dürften die Pathologen nur selten zu Gesicht bekommen. Wenn sie nicht gerade in der Gerichtsmedizin arbeiten.

Sobald im Totenschein bei Todesursache nicht "natürlicher Tod" angekreuzt wird, kommt die Pathologie bzw. die Rechtsmedizin ins Spiel. In der klinischen Pathologie (also nicht nur Rechtsmedizin) werden außerdem Gewebeproben von z.B. entfernten Karzinomen o.Ä. untersucht. Dementsprechend hat man es nicht ausschließlich (bzw. man hat wohl eher selten) mit "kompletten" Leichen zu tun. Oft sind es nur kleine Teile eines Körpers die untersucht werden (müssen).

Ob ein Praktikum möglich ist weiß ich nicht, ich kann mir allerdings nicht vorstellen. Du bist zum einem einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt, zum andern einer gewissen psychischen Belastung. Grad bei minderjährigen dürften die Verantwortlichen da sehr vorsichtig sein.

Einen Geruchsschutz bekommt man in der Pathologie nicht. Die Leute die da schon länger arbeiten haben sich an diverse Gerüche gewöhnt...In einer normalen Klinik hat das Personal ja auch keinen Geruchsschutz, auch wenn der manchmal angenehm wäre ;)

Ganz allgemein: Du solltest das Schulpraktikum sinnvollerweise dazu nutzen dir ein Berufsfeld anzugucken, bei dem du dir ggf. auch vorstellen könntest zu arbeiten. Das Praktikum ist von Seiten der Schule dazu dar dir eine Orientierung zu geben in welche Richtung du nach der Schule gehen willst. Dementsprechend halte ich Dinge wie "man hat dann nicht mehr so viel Angst vor dem Tod" für durchaus vernachlässigbar.

Klar, primär habe ich mir auch ein Berufsfeld als Ziel gesetzt, in dem ich gerne arbeiten würde. Allerdings sind dort Praktikumsplätze ebenso nicht die Regel, weshalb dies meine 2. Entscheidung wäre.

Außerdem finde ich eine bessere Vertrautheit mit dem Tod und die Erfahrung an sich nicht unbedingt für vernachlässigbar.. Solche "Herausforderungen" können durchaus bei der Charakterentwicklung helfen. Bei einem Tierarzt würde ich einfach nicht viel auf dieser Ebene mitnehmen. Zudem gucke ich gerne sowas wie Medical Detectives oder lese ganz gerne von Tsokos, also das Thema Rechtsmedizin interessiert mich natürlich auch sehr. Und ja, mir ist klar dass der Alltag in der Pathologie sicher nicht so spannend ist wie ein Buch oder eine Serie. :)

Zu 1: Nein.

Zu 2: keine Ahnung

Zu 3: nein, warum auch, das gehört zum Beruf dazu.